Seit der „Sexual Wellness“-Doku-Serie „Liebe, Sex und Goop“ auf Netflix, in der Paare ihre Sexualität mithilfe von Coaching neu entdecken wollen, haben die von Jaiya Ma entwickelten „Erotic Blueprints“ neues Interesse erfahren.
Dabei geht es um ein System mit 5 Typen, in das man sich per Quiz einordnen kann: Ist man der energetic Type wird man weniger von direkter Berührung als von Teasing, Verheißung und der Energie des Gegenübers angemacht; der sensual Type zieht seine Turn-Ons aus allen fünf Sinnen; als sexual Type legt man sein Augenmerk auf Nacktheit, Geschlechtsteile, alles visuelle und Orgasmen und ist man kinky, machen einen Tabu-Brüche und lustvoll Verbotenes entweder in der Fantasie oder im Spiel miteinander an. Typ Nummer fünf ist der Shapeshifter, der sich durch alle Typen durchbewegt und aus allem Erregung ziehen kann.
Ganz so schwarz-weiß ist es in der Auswertung, zumindest im kostenpflichtigen Pleasure Profile, dann aber nicht: die Ergebnisse werden in Prozenten angegeben, man soll also herausfinden, wie viel Anteil welchen Blueprints in einem stecken. Erst mal spannend, und, sind wir ehrlich – wer liebt es nicht, ein Quiz über sich selbst zu machen?
Jaiya Ma nutzt die Typen, um Paare miteinander ins Gespräch zu bringen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu reflektieren. So soll daran gearbeitet werden, eine gemeinsame „Sex-Sprache“ zu finden und zu verstehen, wo es hakt. Das Konzept erinnert an die „5 Sprachen der Liebe“ von Chapman, in denen es auch in erster Linie darum geht, sich selbst besser zu verstehen und auf dieser Basis achtsamer miteinander zu kommunizieren.
Aber zurück zum Sex: Macht es Sinn – und wenn ja, wofür? – diese Einteilung vorzunehmen und was kann ich damit anfangen?
Das Bedürfnis nach Einordnungen ist groß in unserer Gesellschaft und auch wenn wir wissen, dass den Kategorien immer etwas willkürliches und konstruiertes anhaftet, brauchen wir manchmal eine Zuordnung, um uns zu identifizieren oder Zusammenhänge zu verstehen. So weit so gut. Sich in einem oder mehreren der Erotic Blueprints wiederzufinden, heißt also auch, sich selbst Gedanken darüber zu machen: Was macht mich an? Worauf reagiere ich mit körperlicher Erregung?
Sexologisch gesehen ist das sehr spannend, weil es viel über uns und unser sexuelles System aussagt. Bei Jaiya Ma wird hier allerdings nicht weiter geforscht, sondern manifestiert: So bin ich eben. Und jetzt soll geschaut werden, wie vielleicht der Partner oder die Partnerin auch auf denselben Zug aufspringen kann und ob man nicht doch mehr Gemeinsamkeiten hat als gedacht.
Der Erotic Blueprint: Netflix vs. Realität
Jemanden dahin zu verführen, sich auf neue Erfahrungen einzulassen und auf unterschiedliche Art viel zu spüren, ist eine tolle und oft gar nicht so leicht umzusetzende Kompetenz – ob nun im Leben oder in der Sexualität. Im Szenario der Netflix-Serie sind beide Partner*innen offen und bereit zum sogar öffentlichen Ausprobieren. In der Realität ist das wahrscheinlich nicht immer der Fall. Nur weil ich weiß, was mich besonders anmacht, heißt es noch nicht zwangsläufig, dass ich mein Sex-Gegenüber dafür begeistern kann. Vor allem wenn diese Art des Zugangs bisher keine Rolle im Leben der Person gespielt hat. Und hier liegt eine Limitierung des Arbeitens mit den Erotic Blueprints: Es ist abhängig von der Bereitschaft beider Partner*innen und könnte auch zu dem Schluss kommen: Tja, ihr seid wohl einfach zu unterschiedlich!
Die Kommunikation und Selbst-Reflektion eines Paares zu fördern ist immer eine gute Idee, und hier liegen die Stärken des Erotic Blueprint-Modells: es ist ein paardynamischer Ansatz, so wie es Paartherapie oder Beratung ebenfalls sind und kann innerhalb genau dieses Rahmens für Viele hilfreich sein.
In der Sexualität vergessen wir aber oft, dass jeder Mensch eine ganz individuelle, erlernte Sexualität hat und ja, ganz klar gehören dazu auch über Jahre hinweg entwickelte „Turn-Ons“ – also Dinge, auf die man steht und die super funktionieren, um in Erregung zu kommen. Und Erregung spielt sich immer auch körperlich ab: der Atem verändert sich, Körperspannung kann variieren, mehr Blut fließt in die Genitalien und Penis und Vulva/Vagina bekommen eine Erektion, was wir häufig (nicht immer übrigens!) als lustvoll und geil erleben.
Und so führt die Ergründung sexueller Schwierigkeiten in der Paar-Sexualität auch nicht nur über das Finden des kleinsten gemeinsamen Nenners miteinander – sondern über das Erweitern und Dazulernen in der eigenen Sexualität.
Was Bedeutet Der Erotic Blueprint Für Mich Und Für Meine Beziehungen?
Wenn ich nur auf Dirty Talk stehe, mein/e Partner*in aber lange Massagen braucht, um in die Lust zu kommen, wird es irgendwann schwierig, gemeinsam Sex zu haben. Ich kann aber lernen, auf anderem Wege viel zu spüren und neue Lust-Zugänge zu entwickeln und das geht am besten mit dem Sex-Tool, das wir ein Leben lang zur Verfügung haben: der eigene Körper. Sehen wir ihn als unser Instrument, ist es lebenslang möglich, unser Repertoire zu erweitern und Tasten oder Saiten dazuzunehmen oder anders zu spielen, um so ganz neue Musik zu genießen.
Das geht nicht von heute auf morgen und erfordert immer ein Dranbleiben, aber jeder Mensch kann lernen, mit seinem Körper mehr zu spüren und vielleicht so noch einfacher und direkter in die Lust zu kommen. Das Coole daran: Je breiter ich selbst aufgestellt bin, desto kompatibler bin ich auch im Kontakt mit anderen Menschen. Es muss dann nicht mehr „alles genau passen“ zwischen uns, sondern ich kann hin- und her switchen zwischen verschiedenen Bewegungen, Berührungen oder Spielen, die mir alle potenziell Lust machen.
Kennt man seine Körper-Tools – Atem, Spannung, unterschiedliche Geschwindigkeiten und den Bewegungsraum, den ich dabei einnehme – und kann Einfluss auf sie nehmen, hat man einen großen Reichtum an Möglichkeiten beim Sex zur Verfügung. Denn man kann sich ein Stück weit selbst in die Lust bringen und ist nicht abhängig davon, dass der/die Partner*in genau das macht, was ich brauche.
Dieser ziemlich hilfreiche Ansatz der Sexualtherapie oder -beratung steckt nicht in den Erotic Blueprints, sie können allerdings ein super Einstieg darin sein, sich mal ausführlicher damit zu beschäftigen, was eigentlich die eigenen Lust-Zugänge sind. Manchmal kann allein das Reden darüber in der Beziehung eine neue Ebene öffnen oder den Anreiz geben, sich mal auf etwas Neues einzulassen.
Für wen das gut funktioniert und vor allem Spaß macht: Go for it! Längerfristig betrachtet kann es aber für Viele einfach zu wenig sein, um etwas im gemeinsamen Sex-Leben zu verändern.
Denn man darf sich ruhig mal vor Augen halten, wie nachvollziehbar es ist, dass sich etwas jahrzehntelang manifestiertes – und oft perfektioniertes im Sinne von: so funktionierts für mich! – wie die eigene Sexualität nicht durch das Einordnen in einen von fünf Typen und das Anpassen und Einlassen in den „Typ“ des Partners/der Partnerin so einfach für Alle ändern lässt.
Veränderung funktioniert immer übers Erweitern und darüber, mehr Möglichkeiten für sich selbst zur Verfügung zu haben, damit man nicht mehr darauf angewiesen ist, der Situation auf ausschließlich eine Art zu begegnen.
Was ja eigentlich ziemlich beruhigend ist: Wir sind nicht einzig und allein auf Andere angewiesen, sondern haben es selbst in der Hand – auch in der Sexualität!
Dieser Beitrag ist zuerst auf www.getcheex.com erschienen
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